Knochenschwund
man altert
sprunghaft
von gestern auf heute
verlor ich fünf Jahre
im Spiegel
ist die unerwartete Konfrontation
ein dumfer Schlag in die Fresse
ein Schuss ins Knie
und plötzlich
falle ich
in gedehnten Bildern
denke
dass es wieder an der Zeit ist
Topografie zu studieren
sich zurechtzufinden
zwischen derangierten Landmassen
und namenlosen Bergen
während die Erde
mich an sich reißt
mit einer gewalttätigen
monumentalen Wucht
und erst im allerletzten Moment
umfangen mich
deine dünnen
zähledrigen Arme
verhindern den Aufprall
gewähren Aufschub
im Augapfelweiß
wortlos
dein aufgerissener Mund
über mir
ein verheißungsvoller
fremder
glühender Planet
eine Insel
im satten Zinnober
des Rachens
ein Fixpunkt
im Auge des stolzen
sinnlos geschundenen Tieres
und explosionsartig
mit einem heftigen
eigentümlichen Knall
schnellt die Chamäleonzunge
zwischen deine zitternden Lippen
und ohne Begriff
überwinde ich
in Sekundenbruchteilen
mein Beharrungsvermögen
sauge mich manisch
in deine tropfende Höhle
alles von mir
hineinzwängend
stoße Schultern gegen scharfkantige Messer
schabe die Haut von meinen Knochen
komprimiere mich
auf Zahnesgröße
und finde Halt
in dieser klaffenden Lücke
zwischen dem ersten und dritten Prämolar
die ich nun randvoll ausfülle
bis kein einziger Gedanke mehr dazwischen passt
und wo ich endlich Zuflucht finde
nahe am Abgrund deines schmalen Kiefergrates
nichts wissend von dieser Welt
als deinen modrigen Hyänenduft
und die pulsierende Wärme
die mich einhüllt und fernhält
von allen Realitäten
wie einst
der Mutter
Mund
Torsten Pfeffer
8. Jan. 2022